7. Berücksichtigung der (schleichenden) Inflation

Nun gibt es noch ein kleines Problem. Die Höhe der bislang verwendeten Eckwerte basiert darauf, dass die für die einzelnen Jahre ermittelten Werte „ganz einfach“ addiert wurden, um Belastungen für größere Zeiträume nachzuweisen. Diese Vorgehensweise ist einerseits unentbehrlich. Denn jeder kritische Leser muss die Möglichkeit haben, an Hand der gleichen von der EU veröffentlichten Ausgangsdaten nachzurechnen, ob denn das stimmt, „was ihm da so treuherzig vorgesetzt worden ist“. Außerdem würde ansonsten der Vergleich mit den Belastungen oder Entlastungen anderer Mitgliedstaaten äußerst schwierig sein. Insofern sind die in den ersten drei Zeilen der Tabelle ausgewiesenen Eckwerte absolut unentbehrlich.

Das schließt nicht aus, dass wir für andere Zwecke zusätzliche Informationen benötigen. Denn wir müssen wegen der vielleicht nur schleichenden Inflation zugeben, dass beispielsweise eine 1991 geflossene Milliarde zu den damals niedrigeren Preisen real, also in Gütern ausgedrückt, mehr wert war als eine Milliarde „heute“, etwa 2010 oder 2011. Folglich sind die damals geflossenen Milliarden aus heutiger Sicht unterbewertet, und dies umso mehr, je größer die Zeitspanne bis heute ist. Lässt man diese Unterbewertung auf sich beruhen, dann wird die deutsche Beteiligung am EU-Haushalt nicht hinreichend gewürdigt, wenn sie mit weiteren, in der Gegenwart berechneten Finanzposten verglichen werden (sollen), beispielsweise mit dem Volumen oder einzelnen Finanzposten eines heutigen Bundeshaushalts oder mit den im Rahmen der EU-Schuldenkrisenpolitik seit 2010 akzeptierten Haftungssummen.

Spätestens für derartige Vergleiche muss die zuvor genannte Unterbewertung beseitigt werden: Die Milliarden der Eckwerte der früheren Jahre  müssen auf „gegenwärtige“ Preisniveaus hochgerechnet werden, und zwar jeder einzelne Eckwert von 1991 ab. Zur Hochrechnung wurden die für Deutschland geltenden Preisindizes verwendet, die von IWF, OECD und EU für alle EU-Mitgliedstaaten nach einheitlichen Kriterien berechnet worden sind (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Statistik, Internationale Zeitreihen: Nationale und (ab 1996) Harmonisierte Verbraucherpreisindizes in den Ländern der EU; für Deutschland 1991: 75,9;  2011: 111,1;  2005 = 100).

Einige Ergebnisse meiner Hochrechnungen sind in den beiden unteren Zeilen der Tabelle festgehalten worden. Sie stehen als ergänzende Informationen neben den entsprechenden Eckwerten im oberen Teil der Tabelle. Für die angepassten nationalen Beiträge gilt beispielsweise: Die 362,7 Milliarden Euro, die von 1991 bis 2010 insgesamt – bewertet mit den jährlichen Preisen – geleistet worden sind, haben aus der Perspektive des 2010 herrschenden Preisniveaus einen Wert von 420,1 Milliarden Euro. Analoges gilt aus der Perspektive des Preisniveaus des Jahres 2011 für die 383,6 Milliarden Euro, die dann einen Wert von 451,5 Milliarden Euro haben.

Man kann allerdings die hochgerechneten Eckwerte auch unmittelbar miteinander vergleichen, zum Beispiel: Von 2010 auf 2011 steigt der hochgerechnete Wert der angepassten nationalen Beiträge von 420,1 auf 451,5 Milliarden Euro. Die zusätzlichen 31,4 Milliarden setzen sich wie folgt zusammen: Wegen einer Inflationsrate von rund 2,5 Prozent erhöht sich der Wert der 420,1 Milliarden in diesem einen Jahr um 10,5 Milliarden; hinzu kommen die 20,9 Milliarden, die 2011 als neuer angepasster nationaler Beitrag anfallen – aus den Daten des Finanzberichts 2011 errechenbar – und für die es natürlich noch nichts „hochzurechnen“ gibt.

Was nun die Unterbewertungen betrifft, die mit der Hochrechnung beseitigt werden sollen, genügt zur Illustration ein Beispiel. Nehmen wir einen Ausgabeposten von 10 Milliarden Euro im Bundeshalt für 2011, dessen realer Wert sich am Preisniveau von 2011 bemisst. An diesen 10 Milliarden orientiert betragen die nicht hochgerechneten angepassten nationalen Beiträge in Höhe von 383,6 Milliarden Euro das 38-fache. Werden diese Beiträge jedoch auf das Preisniveau von 2011 hochgerechnet, machen die damit erreichten 451,5 Milliarden das 45-fache aus. Das ist für die als Beispiel angenommenen 10 Milliarden der „wahre Vergleichswert“.

Da dieser Sachverhalt formal in gleicher Weise für alle hochgerechneten Eckwerte zutrifft, können wir auch feststellen: Wenn man das Preisniveau des Jahres 2011 als Bewertungsmaßstab verwendet, hat sich Deutschland im Rahmen der im EU-Haushalt eingebauten Transferunion seit der Wiedervereinigung mit 203,4 Milliarden Euro beteiligt (Tabelle, Sp. 3, unten). Und die gesamte Nettobelastung Deutschlands machte im gleichen Zeitraum 248,5 Milliarden Euro aus (Tabelle, Sp. 5, unten) Stand 31. Dezember 2011.

Weiterlesen: 8. Nettobelastungen und Haftungssummen

(aus: „Deutsche Eckwerte – Beteiligung Deutschlands am EU-Haushalt seit der Wiedervereinigung“ von Prof. em. Dr. Franz-Ulrich Willeke [PDF-Datei zum Herunterladen])