6. Zur Weiterentwicklung der Eckwerte

Inzwischen liegen die Finanzberichte der Europäischen Kommission für 2009 bis 2011 vor, sodass die Beteiligung Deutschlands am EU-Haushalt für diese Jahre nach der gleichen Vorgehensweise wie bisher analysiert werden konnte: Maßgeblich waren wiederum die im „Zahlmeister“ in den Kapiteln 1 und 2 dargelegten analytischen Schritte. Die dabei ermittelten Eckwerte der einzelnen Jahre sind – für 2009 und 2010 zusammen, für 2011 gesondert – zu den jeweils zuvor erreichten Eckwerten addiert worden. Damit gilt für sämtliche in den Zeilen 1 bis 3 der Tabelle ausgewiesenen Eckwerte der formal gleiche Sachverhalt „seit der deutschen Wiedervereinigung“.

Zur Charakterisierung der Weiterentwicklung der Eckwerte können die erreichten absoluten Beträge ebenso verwendet werden wie Relationen zwischen verschiedenen Eckwerten. Daraus ließe sich eine umfangreiche Untersuchung der Beteiligung Deutschlands am EU-Haushalt machen, was jedoch an dieser Stelle nicht beabsichtigt ist. Stattdessen sollen ausgehend von den Eckwerten des Gesamtzeitraums in der dritten Zeile der Tabelle nur einige Lichter aufgesetzt werden:

■ Deutschland ist mit den auf 383,6 Milliarden Euro angestiegenen angepassten nationalen Beiträgen (Tabelle, Sp. 1) der mit Abstand größte Finanzier der von der EU getätigten operativen Ausgaben geblieben. An zweiter Stelle steht, wie aus den neuesten Finanzberichten ebenfalls ermittelt werden kann, weiterhin Frankreich mit 299,8 Milliarden Euro. Die Relation zwischen diesen beiden Mitgliedstaaten hat sich gegenüber der bis Ende 2008 erreichten nur wenig verändert: Bis Ende 2008 betrug der französische Beitrag 75 Prozent des deutschen („Zahlmeister“, Kapitel 4, S. 56), bis einschließlich 2011 waren es 78 Prozent.

■ Deutschland blieb mit dem Anstieg der seitens der EU getätigten operativen Ausgaben auf 213,0 Milliarden Euro (Tabelle, Sp. 2) einer der von EU-Kommissar Lewandowski gepriesenen Hauptempfänger. Dabei zeigt das Jahr 2011 für sich betrachtet: Deutschland rutschte als Hauptempfänger zwar auf den vierten Platz, aber das würde nicht der Rede wert sein, wenn nicht der Grund dafür bemerkenswert wäre (Finanzbericht 2011, S.107: Ausgaben insgesamt abzüglich Verwaltung). Deutschland erhielt 2011 absolut betrachtet „stolze“ 11,9 Milliarden Euro, aber Polen überrundete nicht nur Deutschland, sondern auch Frankreich mit 12,7 Milliarden und Spanien mit 13,5 Milliarden und war mit 14,4 Milliarden Euro operativer Ausgaben der Sieger des Jahres unter den Hauptempfängern, also Inhaber einer Goldmedaille, die wiegt. Ja, dieser Betrag operativer Ausgaben war der bisher höchste, den seit 1991 jemals ein Mitgliedstaat in einem Jahr erhalten hat.

■ Um noch beim Jahr 2011 zu bleiben. Hier war der Übergang von der von Lewandowski präferierten Rangordnung der Hauptempfänger zu den Nettozahlern und Nettoempfängern besonders drastisch: Denn wenn wir für Deutschland von den 11,9 Milliarden operativer Ausgaben die 20,9 Milliarden angepasster nationaler Beiträge abziehen, ergibt sich ein Nettobeitrag von –9,0 Milliarden. Wenn wir für Polen von den 14,4 Milliarden operativer Ausgaben die 3,4 Milliarden angepasster nationaler Beiträge abziehen, ergibt sich eine empfangene Nettoleistung von 11,0 Milliarden. Wie ein Vergleich mit den Nettopositionen der anderen Mitgliedstaaten zeigt, war damit Deutschland (wiederum) der größte Nettozahler und Polen der größte Nettoempfänger (Finanzbericht 2011, S. 110).

■ In der nunmehr 21 Jahre umfassenden Transferunion blieb Deutschland unbestreitbar der Zahlmeister. Für den Gesamtzeitraum stieg der Nettobeitrag auf 170,6 Milliarden Euro (Tabelle, Sp. 3). Das waren bezogen auf die für den Gesamtzeitraum inzwischen erreichte (in der Tabelle wiederum nicht ausgewiesenen) Umverteilungssumme in Höhe von ±380,6 Milliarden Euro rund 45 Prozent. Da Deutschland bis Ende 2008 an der Umverteilungssumme mit 49,9 Prozent beteiligt war, ist hier also eine gewisse Entlastung eingetreten, wenigstens in dem Sinne, dass „der Schmerz nachgelassen hat“. Die weiterhin unveränderte Gruppe der anderen zehn Nettozahler trug damit im Gesamtzeitraum zusammen 55 Prozent.

■ Schließlich ist es gerade für einen Zahlmeister mit unverändert hohen merklichen Nettobeiträgen naheliegend, auch noch über den Tellerrand der Transferunion hinauszuschauen und festzuhalten, auf welche Summe die gesamte Nettobelastung angestiegen ist: Als 2011 die Silvesterglocken läuteten, hatte sich im Rahmen des EU-Haushalts die gesamte deutsche Nettobelastung seit der Wiedervereinigung auf 208,9 Milliarden Euro erhöht (Tabelle, Sp. 5).

■ Ergänzend dazu ist es reizvoll, aus der bisherigen zeitliche Abgrenzung „kurz nach vorne auszubrechen“: Für 2012 haben die Silvesterglocken ja auch schon geläutet, nur können wir erst im Herbst 2013 erfahren, wo wir während des Geläutes mit unserer Nettobelastung bereits standen. Am 31. Dezember 2012 dürfte die Nettobelastung insgesamt knappe 220 Milliarden Euro erreicht haben.

Weiterlesen: 7. Berücksichtigung der (schleichenden) Inflation

(aus: „Deutsche Eckwerte – Beteiligung Deutschlands am EU-Haushalt seit der Wiedervereinigung“ von Prof. em. Dr. Franz-Ulrich Willeke [PDF-Datei zum Herunterladen])