Durch die Garantien der Mitgliedstaaten glänzend abgesichert kann sich der ESM „in aller Gelassenheit“ seiner Hauptaufgabe zuwenden, den „Stabilitätshilfen“!
Der Kernsatz dafür lautet so: „Ist dies zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebietes insgesamt und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar, so kann der ESM einem ESM-Mitglied unter strengen, dem gewählten Finanzhilfeinstrument angemessenen Auflagen Stabilitätshilfe gewähren“ (Art. 12). Mit den Finanzhilfeinstrumenten wird die bereits seit Frühjahr 2010 eingeschlagene, zunächst als befristet konzipierte europäische Schuldenpolitik fortgesetzt und weiter ausgebaut. Diese heißt nun „Stabilitätshilfe“ oder auch alternativ „Finanzhilfe“ – man beachte den feinen Unterschied! Die angeblich dahinter steckende „Euro-Stabilisierung“ verschwindet schon aus dem Vokabular.
Der ESM hilft den Schuldnerstaaten „grundsätzlich“ mit Krediten innerhalb von „Finanzhilfefazilitäten“, also innerhalb einer Kreditlinie (Art. 13). Dabei ist an mehr oder weniger akute Fälle gedacht, bei denen ein ESM-Mitglied ein „Stabilitätshilfeersuchen“ an den Gouverneursrat richtet. Denn es gibt auch die „vorsorgliche (!) Finanzhilfe in Form einer vorsorglichen bedingten Kreditlinie oder in Form einer Kreditlinie mit erweiterten Bedingungen“ (Art. 14). Durch diese Finanzhilfe wird den Gouverneuren ein großer zusätzlicher Spielraum eingeräumt. Denn was können sie nicht alles „vorsorglich“ und mit vagen Argumenten in die Wege leiten?
Der Gouverneursrat kann an ESM-Mitglieder Darlehen gewähren und darunter speziell „zum Zwecke der Rekapitalisierung von Finanzinstituten“ (Art. 15 u. 16). Nach der interventionistischen, leider verhängnisvollen „Philosophie“ dürfen weder Staaten noch Finanzinstitute in die Insolvenz gehen. Und insoweit ist diese Regelung „nur konsequent“. Es fehlt hier allerdings noch die Regelung, dass der Gouverneursrat den Finanzinstituten direkt Finanzhilfe gewähren darf. Aber das soll ja inzwischen nachgeholt werden.
Denn die Staats- und Regierungschefs der Eurozone entschieden am 29. Juni 2012 (unmittelbar vor der Bundestagssitzung), dass der ESM den Banken direkt Stabilitätshilfen zur „Rekapitalisierung“ gewähren kann, sobald eine geeignete Bankenaufsicht installiert worden ist. Damit wurde bereits eine Änderung des ESM-Vertrages beschlossen, bevor wenige Stunden später im Bundestag erst einmal über die geltende Fassung abgestimmt wurde. Wenige Tage später protestierten in einem Offenen Brief 172 Ökonomie-Professoren gegen diesen, das Instrumentarium des ESM erweiternden Plan.
Und schließlich wird der Interventionismus zu einer besonderen Delikatesse, wenn der Gouverneursrat sich daran macht, auf dem Kapitalmarkt Staatsanleihen anzukaufen. Vielleicht werden die betreffenden Staatsanleihen bereits auf dem Kapitalmarkt gehandelt, dann sind die Gouverneure dazu durch die „Sekundärmarkt-Unterstützungsfazilität“ legitimiert (Art. 18). Oder aber es dreht sich darum, Staatsanleihen, die von einem ESM-Mitglied neu ausgegeben werden, direkt anzukaufen. Dafür steht die „Primärmarkt-Unterstützungsfazilität“ zur Verfügung (Art. 17), die neben ihrem schönen Namen den Mitgliedstaaten der Eurozone ein Verschuldungsparadies bietet, das diese sich zweifellos schon immer gewünscht haben!
Es ist schließlich klar: Ein Interventionismus durch Gewährung von Stabilitätshilfen kostet eine Menge Geld. Deshalb muss die Finanzierung stimmen.
Zur Finanzierung der Stabilitätshilfen kann der ESM nach der jetzigen Fassung des Vertrages auf zwei Quellen zurückgreifen: Einerseits auf die schon genannten, seitens der Mitgliedstaaten nach Inkrafttreten des Vertrages in fünf Raten zu leistenden Kapitaleinzahlungen in Höhe von insgesamt 80 Milliarden Euro. Andererseits ist der ESM befugt, „zur Erfüllung seiner Aufgaben an den Kapitalmärkten bei Banken, Finanzinstituten oder sonstigen Personen und Institutionen Kapital aufzunehmen“ (Art. 21). Damit sind die Gruppen von Gläubigern in etwa umrissen, die für den ESM in seiner Eigenschaft als Schuldner wichtig werden können: deren Zinsforderungen er bedienen muss und denen er das bei ihnen aufgenommne Kapital bei Fälligkeit zurückzahlen muss.
Weiterlesen: 7. Wenn die Interventionisten etwas anbrennen lassen: Verluste des ESM
(aus: „Lasst Euch das nicht gefallen! Eine Streitschrift gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus“ von Prof. em. Dr. Franz-Ulrich Willeke [PDF-Datei zum Herunterladen])